Dr. Wolfgang Zemter

Zum Geleit

Es gehört sicher zu den interessantesten und dankbarsten Tätigkeiten eines Ausstellungsmachers, Werke von denjenigen Künstlern vorzustellen, deren Name zwar allgemein geläufig ist und deren Bilder auch vereinzelt im Bewusstsein sind – deren Gesamtwerk jedoch in seiner kunsthistorischen und pointierten inneren Folgerichtigkeit kaum je publik gemacht wurde. Ein solcher Fall liegt hier vor. Hinzu kommt, dass die Persönlichkeit Thomas Grochowiaks nur selten vorurteilsfrei gesehen wird: Der Künstler als Museumsmann und Organisator, der Theoretiker als Künstler und engagierter Funktionär – die Person vereinigt so viele Eigenschaften, dass sie von kaum jemandem außerhalb des persönlichen Freundeskreises gesamtheitlich erfasst wird. Der hiermit vorgelegte Katalog und die Retrospektive seines künstlerischen Oeuvres weisen aber nunmehr eindeutig nach, dass auch die Künstlerpersönlichkeit Thomas Grochowiaks ihren unverrückbaren Stellenwert in der deutschen Kunstgeschichtsschreibung seit dem 2. Weltkrieg besitzt. Gerade in diesem Werk ist von Anfang an die Auseinandersetzung mit der aktuellen zeitgenössischen Bildproblematik ersichtlich. So sind schon die frühen abstrakten Kompositionen der 30er Jahre (von denen wegen der politischen Umstände leider nur sehr wenige noch erhalten sind) mehr als Fingerübungen. Ihre gestisch-dynamische Struktur findet sich auch später, als der Künstler zu seiner eigenen Bildsprache gefunden hat, als zentraler Bildbestandteil wieder.

Grundsätzlich fällt – für alle Werkgruppen von Bedeutung – ins Auge, dass Grochowiak dem kompositorischen Faktor besondere Bedeutung zuweist. Die Erfahrungen, die er aus der Bewältigung der gegenständlichen Bildwelt gewonnen hat, sind nicht nur ein bestimmendes Thema der Pastelle der 50er Jahre, sondern auch in allen späteren Werken weiterhin thematisch: Alle Bilder des Künstlers leben aus der Tatsache, dass in ihnen ein innerbildliches Spannungsverhältnis vorgeführt (die Gegensätzlichkeit von Formenvokabular und Textur zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk) und zugleich aber auch aufgelöst wird. Hierbei kommt dem skripturalen Faktor (sowohl im flächen füllenden Verbund als auch im singulären »Zeichen« des Spätwerkes) besondere Bedeutung zu. Er ist – bei aller Ähnlichkeit zu optisch scheinbar identischen Phänomenen in den Werken von Grochowiaks Künstlerkollegen – weniger informeller Bedeutungsträger psychischer Gestimmtheit denn formeller Ausdruck einer Bildidee.

Dem Künstler gelingt es, Rezeptionen seiner Umwelt bildlich dinghaft zu machen, ohne den assoziativen Spielraum des Betrachters dabei einzuengen. Bedeutender als des Künstlers kunsttheoretische Erfahrungen scheint mir dabei sein ganz persönliches Verhältnis zur Musik zu sein: Unternimmt er Ende der 40er Jahre noch den Versuch, musikalische Themata stringent in das Medium der Tafelmalerei umzusetzen, so ist bei allen weiteren nachfolgenden Bildern diese Eindeutigkeit zugunsten einer offenen lyrischen Grundstruktur aufgehoben. Die Kenntnis, dass dabei während des Malprozesses Musik eine Rolle spielt, mag manchem hilfreicher sein als der Bildtitel.

Ganz erstaunlich ist, dass Bilder einzelner Werkgruppen nicht nur untereinander Bezüge zueinander aufweisen, sondern darüber hinaus immer wieder deutlich wird, dass auch Kunstwerke, deren Entstehungszeit Jahre auseinanderliegt, innere Zusammenhänge aufweisen. Die Persönlichkeit des Künstlers verleugnet in all den Jahren künstlerischen Schaffens ihre Individualität nicht. Es erstaunt, dass die vielen Tätigkeiten Grochowiaks in anderen Bereichen noch ein so umfangreiches Oeuvre ermöglicht haben.

Mit dieser Ausstellung ist einem breiten Publikum nun die Möglichkeit gegeben, sich einen objektiven Eindruck von dem facettenreichen und vielschichtigen Werk zu machen.

Den vielen Leihgebern, ohne deren Unterstützung dieses Unternehmen nicht hätte durchgeführt werden können, sei von dieser Stelle aus gedankt. Ein besonderes Dankeschön aber gilt dem Künstler selber dafür, dass er die Retrospektive seines Werkes in unserem Hause in jeder Hinsicht unterstützend begleitete.

Aus dem Katalog:
Retrospektive Thomas Grochowiak
Märkisches Museum der Stadt Witten
2. Dezember 1984–27. Januar 1985