Jutta Kabuth

Thomas Grochowiak
Lust auf Farbe, von Musik inspiriert

Lust auf Farbe, von Musik inspiriert, dieser Ausstellungstitel lässt erahnen, welchen Werken der Betrachter gegenübertritt. Ein Titel, der nicht besser gewählt sein könnte.

Doch welch Farbenreichtum und welche Ausdrucksmöglichkeiten der Künstler Thomas Grochowiak in und mit seinen Werken hervorbringt, ist erstaunlich und beeindruckend.

Auf Zeichenkarton mit vielfarbigen Tuschen gefertigt, entstehen Gebilde, die Zeichen mit Farbe kombinieren. Abstrakte, expressive Darstellungen, die sich aus dem Wechsel zwischen spontanem Verströmen von Farbe und zeichenhafter Struktur ergeben.

Vom Zufall angeregt, rhythmisch durch Musik beschwingt und durch die jeweilige Stimmung des Künstlers beeinflusst ergeben sich im Prozess des Malens farbige Kompositionen, die in der Überlagerung vielfältiger Farbschichten eine luzide Einheit von Raum, Körper und Bewegung ergeben.

Musik als Untermalung und Erweckung eigener künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten.

In ihrer komplexen Dichte entsprechen die Werke der Dichte und Fülle der Symphonik.

In dem künstlerischen Bestreben, eine der Immaterialität und Leichtigkeit musikalischer Erlebnisse vergleichbare Bildform zu finden, erscheinen verschwommene Farbformen, zerfließende Ränder, Spuren von Farbtupfen und Spritzer, die die Schwerelosigkeit und Schwebefähigkeit seiner Bildzeichen definieren. In seiner vom Informell beeinflussten Malerei bringt Thomas Grochowiak »das Schwere zum Schweben«.

Der Farbe kommt hierbei ein absoluter Eigenwert zu. Farbströme und Farbstrukturen überlagern sich, durchdringen einander und zerfließen ineinander, Andeutungen von Farbe, die kaum begonnen wieder enden, ergeben eine strukturierte, rhythmisierte Farbfläche. Es entsteht der Eindruck eines schwingenden und bewegten Farbakkords.

In diesem Sinne komponiert der Künstler Farbklänge. Diese sind mit Bildelementen zeichenhafter, kalligraphischer Art kombiniert.

In der Erkenntnis der Kalligraphie als fernöstliches Erbe in der modernen, westlichen Kunst wird der Malduktus, der die Form dem Bild zuführt, als skriptural gewertet.

So werden die Bilder meist tachistisch von schwarzen oder dunkelblauen kalligraphischen Zeichen beherrscht.

Ein Zeichen wird überlagert zur Fläche, ein anderes bleibt Duktus.

In den skripturalen Anteilen ist die tiefdunkle Farbe dominant und dicht. Diesen werden als Ruhepole gewissermaßen farbige Flächen, die »überschrieben« werden, entgegengesetzt.

Hierbei ist der Malgrund nicht vollständig ausgefüllt, sondern wird als Freiraum gewertet.

Der Offenheit des Bildraumes entsprechen die gewählte offene Bildform und offene Struktur, die im Fluss der Farben über den Papierrand hinaus weitergedacht werden könnte, jedoch kompositionell innerhalb der Malfläche ihre Grenze findet.

Sie unterstützt die Wahrnehmung eingefangener Momentanität und Spontaneität.

Das Schwere zum Schweben zu bringen, Ordnungen zu erkennen, den Rhythmus zu empfinden, das Ganze in vielfältigen Beziehungen seiner Teile zu begreifen, ist Grundmotiv der künstlerischen Gestaltungen Grochowiaks.

Thomas Grochowiak hat als bedeutende Künstlerpersönlichkeit seit den frühen 50er Jahren die Kunstgeschichte mitgeprägt.

Ein Künstlerleben, das nach 1945 überraschende Varianten aufweist: der Maler als Kunsterzieher und Professor, der Maler als Museumsdirektor und Museumsgründer; und doch immer ist Grochowiak überwiegend Maler geblieben.

Von der Gegenständlichkeit des Frühwerks, dem Realismus der Bilder aus der Kriegszeit hin zu lichten Farbklängen der »Mozart-Etüde« von 1932, von konstruktiven Gestaltungen um 1950 zu der Wiederentdeckung einer organischen und vegetativen Formenwelt (ab 1955) gelangt der Künstler 1957 zu einer schwebenden Formgebung, die wiederum durch Musik inspiriert ist.

1958 nennt Grochowiak eine Reihe von Werken noch »Flächen und Zeichen«, aber diese suchen bereits »im Schweben zugleich Kontakt zu einem harmonischen Duo zu finden, in dem sich der farbige Akkord in sich ruhender, horizontal lagernder Flächen mit dem quirligen Knäuel kalligraphischer Zeichen die Balance hält.«(1)

1962 erscheinen die Farbklänge rhythmisiert (»Blulei«), ein Wechselspiel aus farbigen Flecken in synthetischer Tusche, die mit Farbklängen im Bildraum verteilt sind und aus sich auftürmenden, schwarzen Säulen in China-Tusche bestehen, was zu einer prägnanten Balance und zu einer harmonischen Eingliederung der Elemente führt. Gewissermaßen entstehen »Schwebende Bilder«.

»Wenn«, so Grochowiak, »ich in Sommernächten das sternenklare Firmament, anfangs zwar hellwach, aber zunehmend meditierend betrachte, dann kommen mir. Vorstellungen von Form- und Farbkonstellationen, die vom Intellekt her wohl nicht wahrgenommen würden. Die Erschaffung der Welt, sie wird mit jedem Bild, das am Anfang nichts als leeren Malgrund bietet, in einem glücklichen schöpferischen Augenblick vielleicht um ein Partikelchen ergänzt.«(2)

Jutta Kabuth

Kunsthistorikerin M.A. & Auktionatorin
Sachverständige für Kunst des 19. u. 20. Jahrhunderts



(1)

Thomas Grochowiak, Monographie und Werkübersicht. Ausstellungskatalog der Städt. Galerie Schloss Oberhausen vom 19. Juni bis 31. Juli 1994 und des Gustav-Lübcke-Museums Hamm vom 21. August bis 18. September 1994, S. 38–39

(2)

Thomas Grochowiak, Monographie und Werkübersicht. Ausstellungskatalog der Städt. Galerie Schloss Oberhausen vom 19. Juni bis 31. Juli 1994 und des Gustav-Lübcke-Museums Hamm vom 21. August bis 18. September 1994, S. 48

Aus dem Katalog:
Thomas Grochowiak
Ehrengast des Bundes Gelsenkirchener Künstler e. V.
Schloss Horst
17. März–14. April 2000