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Thomas Grochowiak
Reisebilder
Aus Briefen und Interviews
Bergen an Zee, unsere ersten großen Ferien am Wasser. Aus dem verstellten Blick durch Hochöfen, Zechen, Fabriken nun die Weite des Meeres, der sich in der Ferne verlierende ockrig-helle Streifen des Strandes und darüber das unendliche Himmelblau. Bald schon ertappe ich mich mit angespannt gesenktem Blick und konkurrierenden Sammlern dabei, den Strand entlang nach angeschwemmten Trouvaillen abzusuchen: Muscheln, Kiesel, Tang, vom Wasser bearbeitete Korkstücke und geschliffene Holzer und gottweißwas. Merkwürdige Formen, Strukturen und verblasene Farben kommen einem dabei unter die Augen und der Kreidestift erinnert sich ihrer später bei den vielen kleinen Pastell-Bildkompositionen unserer Holland-Reisen ...
Peking – der große weite Platz zwischen dem Eingangstor zur »Verbotenen Stadt« und dem Mao-Mausoleum. Schrift-Transparente in riesigen Dimensionen fallen ins Auge, setzen sich in den kilometerlangen breit ausladenden Aufmarsch-Boulevard fort. Parteiparolen? Warenangebote? Werbesprüche? Poems? Ich kenne keinen Buchstaben, verstehe kein Wort. Auf den Wänden der Tempel und Pagoden begegnen mir die Zeichen wieder, nicht so grafisch exakt und wie ausgeschnitten, sondern im variantenreichen Fluss kalligraphischer Pinselschrift. Sie bleiben mehr noch haften als die touristischen Sehenswürdigkeiten, fliegen mit mir zurück und kommen mir oft noch im Atelier als ferne Erscheinung wieder in den Sinn und in den Pinsel ...
Rom, Villa Massimo ... Atelier 10, dem »Villino«, einer kleineren Gästevilla benachbart, wird für zweieinhalb Monate mein Domizil. Welch ein Atelier: Die Dimension einer Ausstellungshalle! Welche Flut von Licht, welch wolkenfreies Himmelblau bricht da herein! Man lebt sich ein, spannt die ersten Papierbogen auf. Gott, wie klein erscheinen mir meine gewohnten Formate. Doch in Rom kann man das berühmte Fabriano-Papier in Rollen erstehen. Zwei großformatige Flächen sind bereits auf die Atelierwände geheftet. Tagelang gehe ich herum, wie die Katze um den heißen Brei. Inzwischen bewährt man sich an Bewährtem, merkt, dass man mehr Farbe riskiert, die einem ja auch beim Blick durch die riesige geöffnete Ateliertür aus dem blühenden Park buchstäblich in die Augen fällt. Man gewahrt, dass die Zeichen, mit denen man zu Hause auf den Bildflächen sicher hantierte, mitgeflogen sind nach Rom, sich nicht verdrängen, aus dem Kopf schlagen lassen wollen und den noch fremden Formen und Reizen mediterraner Atmosphäre und Umwelt im Wege stehen. Dann die erste Attacke auf die großformatigen Malflächen: Mit farbigen Tuschen im konkurrierenden Fließen und Leuchten mit den Farbkaskaden der Flora und Parklandschaft. Vogelgesang in vielfältigen Melodien und Musikfetzen aus dem benachbarten Atelier als stimulierende Beigabe mischen sich ein. Das Ambiente im Park der Villa Massimo und Rom zeigen Wirkung. Gelöster setzt der Pinsel Zeichenmelodien, üppiger, quellender und leuchtender spielen die Farben im römischen Konzert.
Costa del Sol – Andalusien, die Alhambra, die märchenhaften Höhlen in Nerja – anders als in der abgeschirmten, aber auch inspirierenden Oase mit einer Künstlergemeinschaft auf Zeit, inmitten der hektisch pulsierenden Weltstadt Rom – trinken die Augen sich satt an dem Azur-Blau des mediteraneren Himmels und der unendlichen Weite des Meeres, und mit einer kleinen Blickwendung gleiten in diesem Frühsommer anmutig grüne Anhöhen vorüber, blütenweiß gekalkte Häusernester, mit den geschmiedeten Arabesken an Toren und Fenstern, Ölbäume und Pinien und ein üppig wucherndes Blütenmeer in dem das Rot und Gelb und Blau von Oleander, Mimosen und Bougainvillea jubelnd akkordieren. Und noch eine Kopfbewegung weiter öffnet sich dem Blick die Silhouette einer wild und elementar sich auftürmenden Bergkette. Wieder und ganz anders als in Peking eine Begegnung mit der malerischen Sprache der Zeichen in Granada, in der maurischen Alhambra. Sie beschäftigen mich in der idyllischen Abgeschiedenheit meines Freilichtateliers ebenso wie das Wunder der hunderttausend »Orgelpfeifen« in den kilometerweiten Tropfsteinhöhlen von Nerja. Daraus sind Bilder geworden, in die sich auch der Klang der Gitarren und Kastagnetten gemengt hat, der in meinem Ateliergarten belebend eingedrungen ist.
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